Coldplay, Fairplay, Hotplay

Eine Stunde noch. Bei meiner Schwester – zugegeben, auch bei mir – macht sich helle Aufregung breit. Wir sind auf dem Weg zum Ostbahnhof, genauer gesagt zur neuen O2 World-Arena in dessen Nähe. Dort werden wir uns dem musikalischen Genie von Coldplay hingeben.

Blick von der O2 World-Arena
Blick von der O2 World-Arena – Foto (c) Anna-Maria Polaszewski

Die S-Bahn ist rappelvoll mit Jungen und Junggebliebenen. Sie ziehen Bier- und Schweißgeruch mit sich, als sie in Scharen durch die Türen strömen. Der Unterschied zu Fußballfans: Sie grölen keine Fußballlieder. Dafür aber – völlig disharmonisch – die Lyrics von Coldplay.

Ein paar von ihnen tragen T-Shirts der Stars, die sie später live sehen werden. Einige Mädchen haben sich Unmengen an Glitzer in die Haare und Schminke ins Gesicht geschmiert. Augenscheinlich wollen sie gesehen werden. Hier fallen sie tatsächlich auf. Doch in der Masse vor der Band werden sie aller Voraussicht nach untergehen. Ich unterdrücke in hämisches Grinsen. Schadenfreude ist das nicht. Naja, doch. Vielleicht ein bisschen.

Geschafft. Am Ziel angekommen. Das Spreeufer. Dann stehen wir auch schon in der total ausverkauften Arena. Stehplätze. Warten. Es ist bereits sehr voll. Und es wird noch voller. Da wir in etwa ahnen, was uns hier erwartet, macht das Gedränge uns nichts aus. Ein aufgetakeltes Groupie versucht, mit ihrem eher schüchtern wirkenden Begleiter an uns vorbeizuziehen. Uns weht eine Fahne billigen Parfums um die Ohren. Okay, vielleicht macht es uns doch etwas aus.

Das aufgehübschte Teenie-Mädel drängelt stärker. Auch dann noch, als ich versuche, sie wieder wegzuschieben. „Geht’s noch?“, sage ich – zugegeben etwas prollig – als sie versucht, mich wegzuschubsen. Ihre Antwort lässt ein paar Sekunden auf sich warten. Sie glotzt mich an und gibt mir ein unkreatives „Nein!“ zurück. Ja, das sehe ich. Und genau das gebe ich ihr in nicht allzu unfreundlichen Worten zu verstehen. Sie schaut mich geradezu hasserfüllt an – und kommt zum Stehen. Na also, es geht doch.
Meine Schwester kichert.

Wo die Aufgedonnerte die Kunst des Drängelns hervorragend beherrscht, ist ihr Begleiter umso verhaltener. Er schaut mich an, geht zögerlich weiter, bleibt aber links von mir stehen. Wahrscheinlich sieht er meinen drohenden Blick aus zusammengekniffenen Augen. „Siehst Du noch was?“, fragt er mit vibrierender Stimme. Mein Blick scheint tatsächlich sehr finster zu sein. Ich teste noch ein bisschen weiter. „Neeee!“ lautet meine Antwort. Er rückt noch ein Stück zur Seite. In Ordnung, das reicht. Ich will kein Unmensch sein.
Meine Schwester kichert noch einmal.

Die Vorband ist recht gut, aber nichts im Vergleich zu dem, was wir danach erleben dürfen. Das Schwesterlein zupft leicht, aber ungeduldig an einer Strähne des jetzt nicht mehr drängelnden Groupies (das sich umdreht und Blicke wie Pfeile in Richtung Schwester schießt), als es dann auch schon losgeht: Coldplay betritt die Bühne.

Viva!

Foto (c) Anna-Maria Polaszewski

Chris Martin haucht zu Beginn der Show ein paar zarte, aber dafür korrekte Worte in Deutsch über das Publikum hinweg. Die Girlies (ja, und auch die Boys) schmelzen dahin. Bei „In my Place“ schunkelt die Menge andächtig mit (es fehlen im Grunde nur noch die Feuerzeuge mit Coldplaymotiven), bei „Yelllow“ weinen ein paar Mädchen und Jungs und liegen sich in den Armen. Bei „Viva la Vida“ – gerade erst frisch in den Charts – lässt Coldplay tausende Papierschmetterlinge fliegen. Einen erwische ich gerade so – und schenke ihn meiner Schwester. Sie sieht glücklich aus.

‚Von wegen Coldplay!‘, denke ich mir. HOTplay müssten sie sich ja wohl nennen, die Jungs. Sie haben eine wirklich heiße Show hingelegt.

Unterwegs im Schwarzen Land

4.30 Uhr. Weckruf von der Rezeption. Heute sind wir den fünften Tag in Hurgada/Oberägypten und werden in etwa einer Stunde nach Luxor aufbrechen. Es wird ein heißer Tag, man spürt es bereits.

Wir fahren im bewachten Konvoi mit etwa 50 Reisebussen. Durch die Sahara. Durch Geröllwüste. Dann und wann ein Auto, das uns entgegenkommt. Verlassene Beduinenstätten, auf denen eine Spur von Sand liegt. Unser Reiseleiter erzählt uns ein paar Anekdoten über die Wüstennomaden, wie und wovon sie leben, was ihnen wichtig ist.

8.00 Uhr. Bei einem Zwischenhalt in der Wüste steigen wir aus dem Bus. Uns erwarten ein paar Beduinen mit ihren Kindern. Sie stehen vor den Bussen, wollen Geld oder Geschenke. Eine Frau hält ein kleines Mädchen an ihrer linken Hand. Mit der rechten führt sie ein Dromedar. Dann und wann läuft das kleine Mädchen umher, um sich fotografieren zu lassen. Anschließend streckt sie die Hand nach „Bakschisch“ (Almosen) aus. Die Mutter streicht dem Dromedar sanft über das Haupt. Beduinen lieben ihre Dromedare und Kamele. Sie begegnen ihnen mit Respekt – geschlachtet werden die Tiere nur selten und zu besonderen Anlässen.

10.00 Uhr. Etwa 50 Kilometer fahren wir am Nil entlang. Wir sehen Bauern und ihre Kinder, Esel, Schafe, andere Haus- und Nutztiere. Etwa 80 Prozent der ägyptischen Bevölkerung sind Bauern. Das Nildelta ist besonders fruchtbar, deshalb lebt hier der Großteil der Bevölkerung. Zum Teil bauen sie ihre Häuser noch aus dem Schlamm des Nil. Baden sollte man in dem Fluss nicht.

Reiseleiter Hamdi formuliert es in eindringlichen Worten: „Kann man im Nil baden? Ja, kann man. Aber nur einmal.“ Vergiftet ist er, und nur wer Glück hat, zieht sich keine Krankheiten zu… Dennoch gibt es Einheimische, die es tun. Auch das Wasser, das aus den Hähnen fließt, sollte man besser nicht trinken. Es lauern Magenverstimmungen und Durchfall. In Hotel wird man sogar davor gewarnt, sich die Zähne mit dem giftigen Nass zu putzen. Hier sollte besser Mineralwasser verwendet werden.

15.00 Uhr. Angekommen im Tal der Könige. Wir schauen uns die Grabstätten an. Überall lauern Bettler, Händler und Straßenjungen darauf, dass man ihnen etwas abkauft oder ihnen Bakschisch gibt. Zum Teil gehen sie mit ausgebufften Methoden vor, um ihre – echten oder falschen – Waren (darunter Papyrus, aus Stein gefertigte Skarabäen etc.) an den Mann zu bringen.

Ein Mann steht vor dem Grab zu Ramses III und knipst unsere Tickets. Er gibt uns Teile von Pappkartons und bedeutet uns, dass wir sie zum Luftfächeln verwenden können. Das finden wir nett, doch bereits den Weg hinunter in die Grabstätte ahnen wir, was er will: Ein Trinkgeld, wenn wir wieder rausgehen. Wir legen die Pappe beiseite.

Wir sind in einer Alabasterfakturei. Hier bietet man uns Tee an, bedeutet uns, dass wir uns in Ruhe umsehen und anschließend entscheiden können, ob wir etwas erwerben. Ich mache ein Foto. Der Geschäftsführer lächelt mir zu, winkt und zeigt mir schöne Motive. Ich ahne erneut etwas und mache lieber keine Bilder mehr…

Als mein Süßer und ich den Laden verlassen wollen, bestätigt sich mein Verdacht: Der Mann kommt auf uns zu und schaut uns zornig an. „Du hast Foto gemacht, also musst Du zahlen.“ Seufzen. Ich erwidere, dass ich das Foto lösche, und wir gehen aus dem Laden. „Nein, Du musst Foto nicht löschen. Aber ich brauche Geld für meine Kinder! Wer fotografiert, muss zahlen!“ Ich gebe vor, kein Geld dabei zu haben, und wir flüchten in den Bus. Man hört ihn draußen fluchen. Doch rein darf er nicht. Es scheint eine stille Abmachung zwischen Touristenführern und Händlern zu geben: Der Bus als Fluchtstätte.

Alter vor Reichtum

Der Bus biegt bereits um die Ecke. Ich muss mich sehr beeilen, um ihn zu erwischen. Doch glücklicherweise bin ich im Training und laufe mühelos zur Haltestelle. Gerade so geschafft. Ein wirklich gutes Tempo, das ich da an den Tag gelegt habe.

Beim Fahrer bestelle ich ein Ticket und krame gleichzeitig in meinem Portemonnaie, um ein paar passende Münzen hervorzuziehen. Das Kleingeld reicht nicht, also muss ich mich im Fach für das Großgeld umsehen. Nur ein 50-Euro-Schein. Ich ziehe ihn langsam hervor und schaue den Busfahrer fragend an. Er runzelt die Stirn, dann macht sich ein Ausdruck des Bedauerns um seinen Mund breit. Er schüttelt den Kopf. Ich verstehe.

Aussteigen und irgendwo wechseln? Keine Zeit. Doch dann kommt mir eine Idee. Ich bitte den Fahrer um ein wenig Geduld und schlängele mich durch den Bus. In der Mitte, die eigentlich für Eltern und Kinderwagen oder für Rollstuhlfahrer reserviert ist, komme ich zum Stehen.

„Kann jemand einen 50-Euro-Schein wechseln?“ rufe ich laut durch das große Gefährt. Verständnislose Gesichter. Ein Bengel grinst. Schweigen. Ich verharre kurz in meiner Position und überlege mir einen Plan B. Doch dann lässt eine alte Dame Gnade walten: Ich sehe, wie sie ihre Geldbörse durchsucht und wende mich verlegen ab. Ich schaue zum Busfahrer, der inzwischen angefahren ist. Ich muss mich festhalten, damit ich nicht ins Schleudern gerate.

Ein Geschäftsmann aus den hinteren Reihe ruft mir zu, dass er wechseln könne. Glück gehabt. Ich bewege mich auf ihn zu, doch die alte Dame versperrt mir mit ihrer Hand den Weg. Sie winkt mir vorwurfsvoll mit ihren Scheinen zu. ‚Nimm MEIN Geld‘, sagt ihr Blick.

Für wen sich jetzt entscheiden? Ich überlege kurz und sage beinahe zu dem Mann: „Tut mir leid – Alter vor Schönheit“. Doch schön ist er nicht, und das weiß er wohl. Und die Dame? Wäre wahrscheinlich beleidigt, wenn ich ihr das Attribut „alt“ entgegenwürfe. Ich wende mich dem Mann zu, zucke kurz, aber diplomatisch, die Schultern und hoffe auf sein Verständnis. Dann widme ich mich der Dame.