Fernweh – Weihnachten auf Mallorca

Wo andere Sommerurlaub machen, verbringen mein Liebster und ich in diesem Jahr unsere Weihnachtsfeiertage: auf der größten der Baleareninseln – Mallorca. Morgens joggen wir am Strand oder an Hafenpromenaden entlang, vorbei an Palmen und im Sand herumtollenden Hunden. Auf dem Meer schippern ein paar Segelboote langsam am Horizont entlang … Schön ist es – und viel ruhiger als im Sommer.
Ein paar Spaziergänger, Radfahrer, Jogger und Skater ziehen an uns vorüber, wenn wir nach dem Laufen auf der Terrasse eines Bistros ausgiebig frühstücken: Café con leche, frisch gepresster Orangensaft, Croissants und eine Tageszeitung. Fünfundzwanzig Grad in der Sonne. In der Ferne auf den Gipfeln der Gebirgskette liegt Schnee.

Am Heiligen Abend wohnen wir in Palmas Kathedrale einem deutschen Gottesdienst bei. Auf Mallorca leben schätzungsweise 22.000 Deutsche, und so nimmt es nicht wunder, dass jeder Platz belegt ist. Wir müssen stehen. Der Hall in dieser atemberaubend großen und wunderschönen Kathedrale ist ein Erlebnis, der mir eine Gänsehaut beschert. Wer keinen Sitzplatz bekommen hat, steht dicht gedrängt beieinander, obwohl es hier drinnen eigentlich nicht kalt ist, allenfalls angenehm kühl. Gebannt lauschen wir alle den Worten des Pfarrers, der von Liebe und Wärme spricht. Und genau die kann man hier spüren.
Es ist Weihnachten.

An den Folgetagen sind wir mit dem Mietwagen auf der Insel unterwegs – quer durchs Land. Auf Serpentinstraßen fahren wir nach Sóller an der Norwestküste Mallorcas, besuchen den Torrent de Pareis, einen Sturzbach, der durch eine Schlucht führt. Eingebettet in eine – wie der Name verrät – paradiesische Landschaft, lädt er zum Erforschen der weiteren Umgebung ein, die schroffe Felsen, tosendes Meer und jede Menge frische Brisen bietet.
In der auf einem Hügel gelegenen historischen Altstadt von Alcúdia genießen wir die Nachmittagssonne und  eine der besten heißen Schokoladen, die ich je getrunken habe. Sie ist sehr dickflüssig, fast wie dünner Pudding.
Ein paar Jungen tollen herum, einen Fußball flink von Bein zu Bein manövrierend. Eine Katze umgeht gerade so der Schusslinie und zieht mürrisch maunzend von dannen. Eine Mallorquiín sprechende Dame keift die Bengel zusammen.
Kurz: Aufregende Eindrücke, vielältige Vegetation, tosendes Meer, freundliche Menschen, gemäßigtes subtropisches Klima und nicht zuletzt die wunderschöne Hauptstadt der Insel entfachen in mir den Wunsch, zumindest zeitweise auf dieser Insel zu leben.

Verständnis und Entschuldigung

Es ist kalt da draußen. Richtig kalt. Die Temperaturen sind in der vergangenen Nacht in einigen Teilen des Landes erstmals seit 22 Jahren auf unter minus 25 Grad Celsius gesunken. In einigen Bundesländern ging es sogar auf fast schon arktische minus 30 zu, heißt es. Auch in Berlin hat der Winter Einzug gehalten.

Als ich heute Morgen aus der Haustür trete, weht mir die noch immer eisige Kälte entgegen. Allein der spontane Gedanke an Eisschwimmen in der Ostsee treibt mir eine Gänsehaut auf den Körper. Ich sehe, wie ein Auto auf der Greifswalder Straße auf ein anderes fährt, das aus einer Nebenstraße geschlittert kommt. Die Fahrer steigen aus und reden miteinander. Der eine zuckt die Schultern und sagt irgendetwas. Der andere nickt ergeben und zückt daraufhin sein Handy. Ich wende meinen Blick von den beiden Männern auf die ineinander verschränkten Autos und bin erleichtert, dass ich gleich in der warmen S-Bahn sitzen werde.

Am S-Bahnhof angekommen, eile ich zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe zum Bahnsteig hoch. Ich verpasse die Ringbahn, sie fährt direkt vor meinen Augen davon. Die nächste kommt laut Anzeigentafel erst in zehn Minuten. Ich friere schon jetzt, doch in zehn Minuten werde ich wohl erfroren sein. Ich reibe meine in dicke Handschuhe verpackten Hände aneinander und trete von einem Fuß auf den anderen. Nach wenigen Minuten kommt die Durchsage, dass sich die Bahn um wenige Minuten verspäten werde. „Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Ein paar Minuten halte ich jetzt auch noch durch.

Es wird richtig unangenehm. Ich kneife ein Auge zu und schiele mit dem anderen hinab in Richtung Nase. Rot. Nein, doch eher knallrot. Mein Riechorgan ist eiskalt und beginnt zu laufen. Ich schniefe. Immerhin kommt gleich die ersehnte Bahn. Doch die Lautsprecher kennen keine Gnade, eine zweite Ansage folgt: Der Zug verspäte sich erneut um wenige Minuten. „Wir bitten um Ihr Verständnis und um Entschuldigung“, wirft die weibliche Sprecherstimme den Fahrgästen entgegen. UND um Entschuldigung… Was zuviel ist, ist zuviel. Mir entfährt ein erzürntes – und zugegeben etwas prolliges – „Maaaann ey!“. Zahlreiche Augenpaare schauen mich an, ich interpretiere die Blicke einfach als verständnisvoll.

Fünf Minuten später fährt endlich die Bahn ein. Ich glaube meinen Augen nicht zu trauen, als ich sehe, dass sie rappelvoll ist. Der Menschenmasse auf dem Bahnsteig scheint es genauso zu gehen. Jeder versucht, in den Zug zu gelangen, koste es, was es wolle. Ein Gehetze, ein Gedrängle. Ich überlege schon, die nächste zu nehmen, doch mit letzter Kraft gelingt es auch mir, den wohl letzten Platz zu erhaschen. Die Türen schließen sich mahnend und rot blinkend. Die Luft in der Bahn ist alles andere als frisch. Man möchte sofort die Fenster aufreißen. Niemand traut sich zu fragen, denn auch die Stimmung lässt zu wünschen übrig.

„Könnten Sie mal bitte den Stopper betätigen? Die Räder Ihres Kinderwagens knallen permanent gegen meinen Fuß!“, schnauzt eine Frau mittleren Alters verständnislos eine junge Mutter mit Kleinkind an. Diese bewahrt Ruhe und befolgt den Wunsch der anderen augenverdrehend. Doch bereits eine Station später brüllt die Gepeinigte vollkehlig: „Jetzt reicht’s! Das ist das fünfte Mal, dass mir Ihr Wagen gegen den Fuß fährt!“. Jetzt platzt auch der Mutter der Kragen: „Sie keifen doch hier einfach nur aus Frust rum!“. Zwei Frauen streiten in einem beängstigend vollen und stickigen S-Bahn-Wagen.

Ich bin froh, als ich mein Ziel erreiche und aussteigen kann. Auf dem letzten Wegstück denke ich darüber nach, wie schön es jetzt wäre, durch einen verschneiten Park zu laufen und eine Schneeballschlacht zu machen oder besser noch: Urlaub in Costa Rica. Manchmal ist eben selbst mir Berlin ein klein wenig zuviel.