10.00 Uhr. Es klingelt an der Tür. Gerade noch in Gedanken verloren, schrecke ich zusammen. Was war denn heute? Ach ja, der Maler. Etwas schwerfällig bewege ich mich in Richtung Tür. Da klingelt es auch schon wieder. „Jaja, ich komme ja schon.“
Klein ist er, der Malermeister. Seltsame Kurzhaarfrisur, Brille. Freundlicher Gesichtsausdruck. Er ist wohl so um Mitte 30. Grinst mich an.
„Tach, ick bin der Maler. Watt soll’n hier eigentlich jemacht wern?“ Oh Gott. Na, wenn der das nicht weiß …
„Ähm, letzte Woche wurden hier die Gasrohre ausgetauscht, und ein paar Tapetenstücke wurden erneuert, die jetzt über…“
„Ach jenau“, unterbricht er mich. „Jetzt habbicket wieda.“ Na, das ist aber schön. Und es beruhigt mich fast schon ein bisschen.
Ich möchte zurück zum Schreibtisch gehen, jede Menge Arbeit, die da noch wartet. Na, warten ist eigentlich ein viel zu milder Ausdruck. Nein, sie wartet nicht. Sie lauert. Wah. Ich tappe in die Küche, setze Wasser für einen türkischen Kaffee auf. In Gedanken bin ich bei ihr, der penetranten Arbeit. Ich denke an den Kunden dahinter. Tiefes Einatmen. Tut das gut …
„Sind Sie Klavierspielerin von Beruf?“, ruft es aus meinem Wohnzimmer. Ich wähnte den Maler im Flur, und nun kommt seine Stimme doch tatsächlich aus meinem Wohnzimmer.
„Äh, nein. Ich bin Journalistin.“
„Ach sooo, na ick frach wegen den Klavier da.“ Er zeigt auf mein wunderschönes, inzwischen fast dreizehn Jahre altes schwarzpoliertes Rönisch.
„Ja. Nee … So, ich muss jetzt mal weitermachen.“
„Darf ick ma fragen, wie alt Sie sind?“ Na, die Frage ist doch ein bisschen intim. Aber ich habe ja kein Problem mit meinem Alter. Noch nicht.
„Klar dürfen Sie.“ Ich warte, dass er fragt. Ein bisschen dumm schaut er aus der Wäsche. Noch ein tiefes Seufzen meinerseits.
„29. Noch.“
„Oh, sehen aber aus wie 24! Ehrlich, ick sach dit nich nur so.“ Natürlich nicht.
„Danke.“
„Für dit Kompliment hab ick jetz een Kaffee verdient, wa?“ Er kichert. Ich finde das nicht komisch, verbietet mir doch meine Gastfreundschaft, nein zu sagen. Mist!
Der Maler macht sich im Flur an die Arbeit. Er schweigt. Genau zwei Minuten. Denn als ich ihm den Kaffee bringe, plappert er unentwegt weiter: von seiner zwölfjährigen Ehe, seinen beiden Kindern. Die Tochter ist elf, der Sohn ist acht. Seine Kleine hat zwei Handys und einen Laptop. Und sie wird bald 14. Und dann beginnt sicher auch ihr Sexualleben. In seiner Jugend hätte man damit erst viiiel später begonnen. Ich schaue mir den Kerl genauer an. Schelmisches Grinsen, selbstsichere Körperhaltung. Na klar.
„So, ich muss jetzt wirklich arbeiten.“
„Meene Frau …“
Ich gehe ins Arbeitszimmer und schließe die Tür hinter mir.
Zwanzig Minuten später verabschiedet er sich. „Schüss!“, ruft er durch die Tür. Und dann ist er weg.