„Nach Oles Tod geht das Leben weiter“

Es ist ein warmer Spätsommertag. Die Sonne scheint, Vögel zwitschern, es riecht nach gemähtem Rasen im Wohn- und Freizeitpark in Quakenbrück. Meine Bekannte Birgit Eckhoff empfängt mich heute als Reporterin vor ihrem Haus. Wir wollen über ein sehr bedrückendes Thema berichten.
Die 40-Jährige trägt ein peppiges Kleid, die rotstichigen Naturlocken fliegen ihr um die Schultern, sie hat ein ansteckendes Lachen. Es ist ein Lachen, das sich Birgit in den vergangenen Jahren hart zurückerkämpft hat. Im Oktober 2008 starb Ole, der jüngere ihrer beiden Söhne, über Nacht am plötzlichen Kindstod – im Alter von vierzehn Jahren. „Das kommt selten vor bei Kindern in diesem Alter, aber wenn, dann betrifft es eher Jungen im Teenageralter“, erklärt die Quakenbrückerin.
Was ist geschehen? „Ich habe Ole morgens im Bett liegend gefunden, er sah blass aus. Ich sagte noch zu meinem Mann Klaus: Der Junge sieht so seltsam aus.“ Sie schüttelt den Kopf. „Das Ganze ist jetzt schon eine Weile her, und noch immer kommen die Leute im Supermarkt auf mich zu und streichen mir über den Arm oder schauen mich mitleidig an. Das sollen sie bitte endlich lassen, ich mag und ich brauche das nicht“, sagt sie ein bisschen verärgert.

Ole liebte Rosen

Birgit Eckhoff ist eine selbstbewusste, lebenslustige Frau. Wir machen einen Spaziergang an der Wrau, mit Hund Jac und Kater Angelo Merkel. „Merkel war Oles Kater. Er hat ihm diesen verrückten Namen gegeben. In der Nacht, als er eingeschlafen ist, saß Merkel auf seinem Bett.“ Sie lächelt. „Es gibt so einiges, das seltsam ist, seit Ole nicht mehr da ist.“
Wieder daheim in ihrem Garten, deutet sie auf einen prächtigen Rosenstrauch. „Ole liebte Rosen. Er hat diesen Strauch besorgt, aber der wollte lange Zeit nicht blühen. Als Ole nicht mehr war, begannen die Rosen mit einem Mal zu blühen.“ Die Quakenbrückerin zuckt mit den Schultern.
Woran erinnert sie sich, wenn sie an Ole denkt? „Ich habe diesen empfindsamen, lebenshungrigen Jungen vor Augen. Ich denke an alles, was er war: liebevoll, witzig und gerechtigkeitsliebend. Aber es gibt noch so viele andere Dinge, die ich vermisse.“
Und was gab ihr die Kraft, diesen Verlust zu ertragen? „Verwinden tut man das nie. Ich bin pädagogische Mitarbeiterin an der Haupt- und Realschule Quakenbrück und Oberschule Essen. Die Kinder dort haben mir sehr geholfen. Kinder sind klasse, so offen und ehrlich. Der unmittelbare Kontakt zu ihnen hat mir sehr viel Kraft gegeben, obwohl ich mein eigenes Kind gerade verloren hatte … Ein Kind verloren, aber hundert gewonnen.“
Birgit Eckhoff schaut nachdenklich in ihre Kaffeetasse. „Auch die Arbeit in meinem Fitnessstudio hat mir sehr geholfen, der Kontakt zu anderen Menschen. Und ich gehe jeden Tag auf den Friedhof, um meine Erlebnisse mit Ole zu teilen.“

„Wie komme ich am schnellsten nach L.A.?“

Dann erklärt sie, dass nur dreißig Prozent der verwaisten Familien es schaffen, nach dem Tod eines Kindes zusammenzubleiben. „Männer und Frauen trauern verschieden. Man muss das respektieren. Meinen Mann, meinen Sohn Mick und mich hat unser gemeinsames Schicksal noch enger zusammengeschweißt.“
Birgit Eckhoff steht plötzlich auf, geht ins Haus und kommt mit einem Skateboard und einer fetzigen, roten Gitarre wieder. „Ole liebte Metallica. Er wollte Rockstar werden und hatte Gitarrenunterricht. Mama, fragte er mich oft, wie komme ich am schnellsten nach L.A.?“
Sie schmunzelt. „Ich selbst spiele auch und sollte später einmal die Bassistin in seiner Band werden.“ Sie lacht und zeigt bunte Collagen. „Zum Abschied haben Oles Freunde und Mitschüler sie gebastelt – mit all den Dingen drauf, die mein Sohn liebte: vor allem den Song ,Nothing else matters‘, Chucks und die Simpsons.“ Die Augen von Birgit Eckhoff glänzen – vielleicht ist es gerade wieder die Trauer, vielleicht aber auch der Stolz auf Ole.
„Den Schmerz zulassen“
Später möchte sie ein Buch über ihren Sohn schreiben und eine Plattform für verwaiste Eltern und Angehörige aufbauen, vielleicht ein Internetforum. „Direkt und persönlich ist der Kontakt manchmal zu schmerzvoll, weil man sich die Schicksale der anderen zu sehr zu Herzen nimmt. Aber ein Austausch auf diesem Wege erscheint mir wichtig und auch sinnvoll.“
Welche Botschaft möchte Birgit Eckhoff Menschen mit ähnlichem Schicksal noch mit auf den Weg geben? „Der Schmerz ist mal stärker, dann wieder schwächer. Man kommt nie darüber hinweg.“ Dann schweigt sie kurz. „Man muss den Schmerz zulassen und darf sich nicht zu Hause vergraben. Ja, ich habe meinen Sohn verloren. Ich habe mein Leben aber noch, und das geht weiter“, sagt sie entschlossen.