Alter vor Reichtum

Der Bus biegt bereits um die Ecke. Ich muss mich sehr beeilen, um ihn zu erwischen. Doch glücklicherweise bin ich im Training und laufe mühelos zur Haltestelle. Gerade so geschafft. Ein wirklich gutes Tempo, das ich da an den Tag gelegt habe.

Beim Fahrer bestelle ich ein Ticket und krame gleichzeitig in meinem Portemonnaie, um ein paar passende Münzen hervorzuziehen. Das Kleingeld reicht nicht, also muss ich mich im Fach für das Großgeld umsehen. Nur ein 50-Euro-Schein. Ich ziehe ihn langsam hervor und schaue den Busfahrer fragend an. Er runzelt die Stirn, dann macht sich ein Ausdruck des Bedauerns um seinen Mund breit. Er schüttelt den Kopf. Ich verstehe.

Aussteigen und irgendwo wechseln? Keine Zeit. Doch dann kommt mir eine Idee. Ich bitte den Fahrer um ein wenig Geduld und schlängele mich durch den Bus. In der Mitte, die eigentlich für Eltern und Kinderwagen oder für Rollstuhlfahrer reserviert ist, komme ich zum Stehen.

„Kann jemand einen 50-Euro-Schein wechseln?“ rufe ich laut durch das große Gefährt. Verständnislose Gesichter. Ein Bengel grinst. Schweigen. Ich verharre kurz in meiner Position und überlege mir einen Plan B. Doch dann lässt eine alte Dame Gnade walten: Ich sehe, wie sie ihre Geldbörse durchsucht und wende mich verlegen ab. Ich schaue zum Busfahrer, der inzwischen angefahren ist. Ich muss mich festhalten, damit ich nicht ins Schleudern gerate.

Ein Geschäftsmann aus den hinteren Reihe ruft mir zu, dass er wechseln könne. Glück gehabt. Ich bewege mich auf ihn zu, doch die alte Dame versperrt mir mit ihrer Hand den Weg. Sie winkt mir vorwurfsvoll mit ihren Scheinen zu. ‚Nimm MEIN Geld‘, sagt ihr Blick.

Für wen sich jetzt entscheiden? Ich überlege kurz und sage beinahe zu dem Mann: „Tut mir leid – Alter vor Schönheit“. Doch schön ist er nicht, und das weiß er wohl. Und die Dame? Wäre wahrscheinlich beleidigt, wenn ich ihr das Attribut „alt“ entgegenwürfe. Ich wende mich dem Mann zu, zucke kurz, aber diplomatisch, die Schultern und hoffe auf sein Verständnis. Dann widme ich mich der Dame.

Ein Gedanke zu „Alter vor Reichtum“

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