Die Pacemakerin

Endlich. Es ist Frühling geworden. So richtig, meine ich. Es riecht ja schon eine Weile danach. Doch die Temperaturen, die wollten sich noch nicht anpassen. Es ist herrlich warm heute, und ich freue mich auf einen ausgedehnten Lauf. Basecap auf, kurze Hose an, T-Shirt – und los. Ich trete aus der Haustür, und die Spree lacht mir entgegen. Besser kann das doch gar nicht anfangen.

Doch dann: Als ich den Schlosspark Charlottenburg erreiche, möchte ich am liebsten wieder umkehren: Es ist zum Erbrechen voll. Eltern mit ihren Kinderwagen, Pärchen, Freunde, Radfahrer, Jogger und Walker. Und dann auch noch die mit diesen blöden Stöckern. Was soll’s. Eigentlich war das ja klar. Und uneigentlich habe ich einfach nur nicht daran gedacht. Ich beschließe, das Beste daraus zu machen. Entspannt laufe ich los – so weit das denn geht: Beinahe stolpere ich über einen kleinen Jungen, der meinen Weg kreuzt. An der Spree entlang. Wunderschön. Ich sehe spielende Kinder, Picknicks, planschende Enten. Wohin ich meine Nase auch wende: Es riecht nach Bratwurst und Grillfleisch, Toast und Maiskolben mit Butter. Wunderbar. Ich sauge den Duft tief ein. Ich habe Hunger. Nein! Jetzt nicht. Es wird gelaufen, dann gibt es Steak, Brechbohnen und Potatoe Wedges. Später.

Irgendwann nach Kilometer drei läuft sie an mir vorbei, überholt mich einfach – ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen: Sie ist groß, superschlank, hat ihr blondes Haar zu einem Dutt gebunden. Ein wahnsinniger kleiner Knackhintern wippt im Takt ihrer Laufschritte. Oh oh. Ich ahne es: Heute habe ich wieder einmal eine Pacemakerin – jemanden, an dessen Laufgeschwindigkeit ich mich orientieren werde. Ich werde nicht schneller und auch nicht langsamer sein als sie. Naja, vielleicht ein bisschen schneller. Eigentlich wollte ich doch ganz entspannt laufen. Und uneigentlich? Dreht sie sich irgendwann nach mir um und schaut, wie weit ich zurückliege. Ich halte konsequent Schritt. Sie ist eine gute Pacemakerin. Doch nach ein paar Sekunden dreht sie sich ein zweites Mal und noch etwas später ein drittes Mal um. Och nö. Na gut Mädchen, du hast es nicht anders gewollt.

Mein Ehrgeiz ist geweckt. Es hilft alles nichts: Ich halte ein paar Meter bewusst mein derzeitiges Tempo, um mich zu regenerieren und voll auf meinen Körper zu konzentrieren. Kräfte sammeln für den Langzeitsprint, der gleich folgen wird. Wäre doch gelacht, wenn ich das nicht hinbekäme. Ich ziehe an ihr vorbei. Nicht zu schnell, aber mit demonstrativer Kraft. Ich halte dieses Tempo drei Kilometer, das ist wirklich gut. Ich bin stolz auf mich. Mein Atem geht weitaus schneller, ich spüre meine Muskeln deutlicher als sonst. Dann und wann drehe ich mich nach ihr um. Sie liegt zurück. Was sonst. Ich atme auf – und verlangsame mein Tempo. Gleich beginnt die dritte und letzte Runde. Prima. Das Steak ruft.

Kurz vor Schluss: Ich glaube, ich sehe nicht richtig. Aus einer Weggabelung prescht die Blonde. Wo kommt die denn her?! Jetzt hängt sie wieder vor mir. Na warte, du Schnepfe, dich kriege ich! Nach ein paar mühseligen Minuten bin ich auf gleicher Höhe mit ihr, zuletzt sogar einen winzigen Schritt vor ihr.
Sie stoppt abrupt, schaut auf die Uhr. Ich drehe mich nach ihr um. Sie grinst mich an.
„Danke. Du warst eine gute Pacemakerin für mich heute!“, ruft sie mir nach.
Und nimmt einen der Ausgänge. Unentschieden.

5 Gedanken zu „Die Pacemakerin“

  1. Hallo ihr Lieben,

    Laufen bedeutet für mich, den Kopf nicht frei, dafür aber voll zu kriegen: voll mit vielen, hoffentlich kreativen Gedanken. Fantasien, Ideen, Anregungen kommen mir meist bei der Bewegung. Und wenn Joggen auch mal bedeutet, mich selbst auch körperlich herauszufordern, nehme ich diese Einladung natürlich gern an. 🙂

    Ich wünsche euch allen einen guten Start in die Woche!

    Herzlich,
    Coralita

  2. Hola!..;-)

    Deine Geschichte ist eine ausgezeichnete Metapher!
    (Konkurrenzdruck unter Frauen..;-D
    Ich vermute auch, dass Du ’nen Sport-BH zu T-Shirt,
    kurze Hose und Basecap gewählt hast. Stimmts?!..;-))

    ..PEACE !.. 😉

  3. Liebe Coralita,
    eine wunderbare Geschichte. Ihr beiden habt euch bei eurem sportlichen Ehrgeiz viel gegeben, euch gegenseitig motiviert, das gefällt mir. Auch wenn in sportlicher Hinsicht ich gaaaaanz weit hinten stehe 😉
    Liebe Grüße zu dir
    Iris

  4. Hallo, Coralita, sportlicher Ehrgeiz geht mir ziemlich ab, um so mehr bewundere ich deinen. Der Verschreiber am Anfang ist einfach köstlich: „Eltern mit ihren Kinderwa r en“. – Wir waren im Britzer Garten bei dem schönen Wetter, es war 25 Jahre Garten und dementsprechend voll und laut und auch so viele „Kinderwaren“ unterwegs.
    Schönes WE noch wünscht dir Clara

  5. Hallo Pace-Makerin,

    tja, was soll ich in meinem Alter dazu sagen? Und, was wolltest du „un-„eigentlich dazu sagen?

    „EHR-GEIZ“, ein m.E. sehr interessantes Wort, das man sich mal so richtig auf der Zunge zergehen lassen sollte.

    Ehrgeiz mag ja sehr schön sein, doch brauchen wir dazu unbedingt eine Blonde, die zur Höchstform aufläuft ? Gibt es nicht schon genug von diesen „Blondinen-Witzen“ ?

    ICH kann darüber lachen, denn ich bin ja – Gott-sei-Dank – nur straßen-köter-blond, ach ja und ich jogge nicht, ich liebe ZUMBA.

    Wir müssen uns – meines Erachtens – mit KEINEM anderen Menschen messen. Alles was wir tun sollten wir für uns und unserer Wohl tun, und wenn dann da irgenwer schneller an uns vorbei läuft, dann ist das halt so. Jeder Mensch ist anders. Der eine läuft schneller, der andere Mensch etwas langsamer. Es geht doch gar nicht um die Geschwindigkeit oder die Leistung, die der einzelne Mensch da tut, sondern darum, dass er „WAHR – NIMMT“. Jeden einzelnen Moment in seinem Leben und in der Natur wahrnehmen, OHNE HAST, und so sein Leben vollkommen genießen.
    Wer genießt wohl mehr ?

    Von Herzen
    Doris

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