Ein anderes Leben

Wie fange ich an mit einem Thema, das komplexer eigentlich nicht sein könnte? Am besten durch den direkten Einstieg: Vor fast einem Jahr, im August 2013, wurde ich Mama – von jetzt auf gleich ein komplett anderes Leben. Die Geburt verarbeiten, das Glück fassen und die krasse Veränderung erst einmal verdauen. Vierundzwanzig Stunden nonstop da sein, für einen Menschen, obwohl man vielleicht vorher das Gefühl hatte, doch selbst noch gar nicht erwachsen zu sein.
Eine Mischung aus Euphorie und Erschöpfung.

Keiner sagt Dir vorher, wie das läuft

Was nur Mütter wissen: Nichts und niemand bereitet Dich vorher auf ein Leben mit Kind vor – weder die Schwangerschaft noch diverse Erfahrungsberichte. Da sitzt Du noch als Hochschwangere vor einer Mutter mit zwei kleinen Kindern, die klagt, manchmal sei „alles soooo schwer“. Sie jammert herzzerreißend, sie könne manchmal einfach nicht mehr und würde den Mutterjob am liebsten an den Nagel hängen. Und dann passiert es. Der Zweijährige tut unerwartet etwas ganz Tolles; da schwärmt sie sich das Mark aus den Knochen. „Hast Du das gesehen!?“ Ruft sie plötzlich euphorisch und strahlt über beide Backen bis zu den Ohren – eine Seligkeit in ihren Gesichtszügen! Nicht zu fassen, denkst Du Dir, die kann man doch nicht ernst nehmen. Du hörst aber zu und grinst in Dich hinein. Na bitte, das kann doch so wild alles gar nicht sein. Man wächst schließlich mit seinen Aufgaben, muss nur vorbereitet sein, einfach nur lässig und entspannt genug.
Wie naiv ich doch war.

Keine Zeit mehr

Heute bin ich selbst Elter (ich finde, dass der Singular von „Eltern“ ein ziemlich blödes Wort ist). Und heute erst kann ich verstehen, warum alle meine Mutter gewordenen Freundinnen sich nicht mehr oder nur noch selten blicken ließen – und wenn, dann nur noch kurz. Nicht einmal mehr die Zeit für ein „Hallo“ in den sozialen Netzwerken fanden. Fand ich das damals doof, ich konnte es einfach nicht verstehen, Zeit für ein „Hallo“ musste doch sein! Soviel kann man doch als Neumutter gar nicht zu tun haben. Das Baby schläft doch fast nur, dann weint es, dann trinkt es, dann kackt es …
Ich kann es nur wiederholen: Wie naiv ich doch war!

Warum wir „Erstlingsmütter“ keine Zeit haben: Es gibt einen immer schwankenden, ganz individuellen Baby-Rhythmus, den es einfach einzuhalten gilt. Wenn man das denn möchte, aber meist möchte man, denn man ist dankbar, dass es überhaupt mal eben kurz einen Rhythmus gibt. Und der Rest der Begründung ist jetzt zu schwierig zu erklären. Darüber kann man (frau) Romane schreiben. Die gibt es aber auch schon. Einmal abgesehen davon kann ich das Wort „Rhythmus“ im Zusammenhang mit Babys nicht mehr hören. Gib dem Kind nach Bedarf: Essen, Trinken, Schlaf … Es fügt sich alles ganz von selbst.

Einfach alles ändert sich

Totale Verantwortung für einen anderen Menschen. Eine ehrenvolle Aufgabe, zweifelsohne. Glück pur, ganz klar. Aber dann sind da auch noch all die Dinge, die im vorgeburtlichen Leben ebenfalls einfach unvorstellbar, weil schlichtweg unerfahren, sind.

Unglaubliche Müdigkeit: Nein, Stress im Job ist wirklich nichts dagegen, wirklich nicht, versprochen. „Was hast Du denn, Du siehst doch gut aus.“ Es schwingt mit: „So schlimm kann das doch nicht sein.“ Tja, der (weibliche) Körper gewöhnt sich eben an alles. Auch an Schlafentzug. Er wird in der ersten Zeit sogar noch vor dem Kind wach, kurz bevor es seinen Hunger zeigt. Was für eine faszinierende Verbindung.

Gnadenlose Angst (nicht nur bei der Erstlingsmama, sondern auch beim Erstlingspapa): Wird dieses Kind die ersten Wochen und Monate überleben? Werde ich das alles schaffen oder kläglich versagen? Und dann liegst oder sitzt Du nachts da, neben diesem kleinen, wunderschönen Wesen und hörst auf jeden Atemzug. Du hast Angst, einzuschlafen. Was, wenn etwas passiert? Hoffentlich erstickt er nicht. Hast Tränen in den Augen, manchmal steigt eine Art Panik auf. Hör auf mit dem Quatsch, da passiert nichts. Und doch bleibt die Sorge. Und … sie bleibt und bleibt? Bleibt sie für immer? Ich vermute nach nur zehn Monaten: ja.

Ich bin nur eine von Abermilliarden und noch mehr Müttern auf dieser Welt, die das (und noch viiiiiel mehr) durchmachen. Und es geht weiter: Wenn das Kind auf einmal die Brust verweigert (niemand hat Dir gesagt, dass es „Stillstreiks“ gibt),  sich an einer Dinkelstange verschluckt (nur wenige Kinder ersticken tatsächlich daran, die allermeisten haben ganz tolle Reflexe; aber niemand hat es Dir gesagt),  Dir den Brei um die Ohren schmeißt (und Du nach dem gefühlt tausendsten Mal richtig wütend wirst und Dich beherrschen musst, weil Du Karotte und Kartoffel im Haar jetzt mal so richtig satt hast). Dein Küchenboden wird womöglich für immer klebrig bleiben. Dein Mann sagt: Ist doch nicht schlimm. Und genau das bringt dann das Fass zum Überlaufen. Du heulst und sagst: Ich will mein Leben zurück! (Und natürlich hast Du die Zeit, Dir kurz die Haare zu waschen oder Dir mal wieder die Nägel zu schneiden. Du hast nur gerade üüüberhaupt keine Lust dazu und willst einfach nur irgendwo sitzen.)

Grenzenlose Liebe: Wenn Dein Kind Dich das erste Mal anlacht, wenn es zum ersten Mal Deine Hand nimmt, wenn es sich im Schlaf an Dich kuschelt … Wenn es sich freut. Mit dem ganzen Körperchen, mit den Ärmchen wedelnd und gieksend. Unbändige, ehrliche, reine Freude. Dir geht das Herz auf. Du schmilzt dahin, auf diese Art hast Du noch nie geliebt … Mutter sein ist wunderbar. Es ist aber auch sehr anstrengend. Und manchmal ist es auch wunderbar anstrengend. Aber immer hübsch daran denken: Alles ist nur eine Phase. Die mehr oder weniger lange dauert. Auf Regen folgt bekanntermaßen Sonnenschein. Und auf den dann wiederum der Regen. Den Dein süßestes Baby der Welt mit riiiiiesigen Kulleraugen staunend mit den Händchen zu fassen kriegen möchte … Darauf einen Seufzer der Verliebtheit.

Das andere Leben

Neulich begegnete ich beim Einkaufen einer Frau mit achtzehn Monate alter Tochter. Sie schaute meinen Sohn an: „Bin ich froh, dass wir da durch sind.“ Ich so: „Wie?“ – „Na, das war ganz schön anstrengend!“ Ach so. Ich habe zwar nicht die leiseste Ahnung, was da noch folgen wird, aber: Das kann ich gut so für mich bestätigen. Ich fand und finde die Babyzeit wirklich unglaublich kräftezehrend. Ich stoße an meine Grenzen, in jede nur erdenkliche Richtung. Mein Sohn kitzelt das Beste, aber auch das Schlechteste aus mir heraus. Und nur er schafft das. Ein Baby.

Mutter ist man nicht, Mutter wird man. Davon bin ich jetzt überzeugt. Vor der Geburt dachte ich, ich würde mich verändern. Aber ich bin immer noch ich.
Nur, dass ich jetzt eben Mutter bin. Und jetzt wirklich weiß, was ein „Wechselbad der Gefühle“ ist.
Und mein innig geliebtes Kind niemals missen möchte.

 

5 Gedanken zu „Ein anderes Leben“

  1. Ich hab das alles mit großer Freude gelesen über eure Kinder und ich bin echt gerührt. aber alle Kommentare sind von Müttern, lesen Männer sowas nicht? Ich jedenfalls liebe Babys und auch Kinder
    ich kann an keinen Kinderwagen vorbei gehen ohne rein zu schauen. Ich freue mich über jede Mutter die eine Geburt als Gottesgeschenk ansieht, denn unsere Kinder sind uns nur geliehen bis sie auf eigenen Füßen stehen.

  2. Wie heißt es so schön, man wächst mit den Aufgaben…
    Wer Kinder hat, wird das bestätigen und die Aufgaben sind vielfältig wie unterschiedlich.
    Eines unserer „Kiddies“ ist erwachsen und hat gerade mit der Ausbildung begonnen. Dazu war ein Städtewechsel bzw. der Auszug von daheim notwendig. Das andere Kind ist mitten in der Pubertät und auch nicht einfach zu nehmen. Es wird nicht ruhiger – wie vielleicht mal gedacht, weil ein Kind aus dem Haus ist. Keineswegs – man sorgt sich weiter – und es kommen neue Fragen, Sorgen oder einfach Situationen, die man so gar nicht erwartet hat!
    Da gibt nicht mehr nur die freundschaftlichen, schulischen und pubertären Dinge zu klären, wenn es unter der Woche zwar auch keine geschwisterlichen Streitereien zu klären gibt. Momentan sind es beispielsweise Verträge für Gas und Stromlieferanten, die von uns ebenfalls an-, und durchgesehen werden. Man staune, es kommen sogar Fragen, die besagtes „erwachsenes Kind“ daheim vermutlich selten oder überhaupt nicht gestellt hätte… Welche Wasch- oder Putzmittel sinnvoll und ökologisch sind, bzw. im elterlichen Haushalt benutzt würden… Mal ein Anruf am Abend, wie eine bestimme Soße die geschmacklich in die Hose gegangen ist noch zu retten sei, dann die Frage, welche Kräutergewürze für welches Fleisch passen und sogar Tipps, wenn es ein spezielles Angebot gibt… Zeigt es uns doch, dass wir wenigsten ein bisschen richtig erzogen haben…. Aber es vermittelt uns durchaus Freude – egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit ein Anruf kommt. Es zeigt uns doch, egal wie pubertär oder wie schwierig unsere Kinder in verschiedenen Lebensphasen sind, wir werden als Eltern gebraucht und das ist wohl das schönste Geschenk, was sie uns mal bewusst, mal unbewusst, machen!

  3. Liebe Coralita, nun endlich hast du offiziell Kunde gegeben von deinem neuen Glück und deinem neuen Leben und ich kann dir von ganzem Herzen gratulieren. Ich wünsch dir, dem Kindlein und natürlich auch dem Vater alles Gute und dass die „Plage“ vom Glück in die hinterste Ecke verbannt wird.
    So ein Kindlein bringt Muddi und Vaddi „auf Trapp“ und das Glück ins Haus und wenn man gern außer Haus einer mehr oder weniger erwerbsfähigen Tätigkeit nachgehen möchte, dann lässt sich das auch „bedeikseln“, alles eine Sache der Organisation. Aber kommt Zeit kommt Rat und wenn du soweit bist, das Kindlein ein wenig aus den Augen und der Obhut zu entlassen, dann wird sich alles andere von selbst ergeben. Genieße in vollen Zügen die Zeit mit dem atemberaubenden Kulleraugenkindlein, die Gelegenheitsjobs können warten.
    Nochmals herzlichen Glückwunsch der ganzen Familie!
    Gruß marana.

  4. Danke Dir, liebe Doreen. Vierfachmutter, wow. Ich bin beeindruckt. Und dann arbeitest Du noch! Jetzt bin ich noch beeindruckter. Mich fordern daneben bereits meine Gelegenheitsjobs, und ich muss aufpassen, dass ich nicht mit dem Kopf auf die Tastatur kippe und wegdöse. (Ich stelle mir einen Abdruck in Form eines „H“ auf der Stirn vor, hihi.)
    Frage: Wann schläfst Du? Irgendwann musst Du doch einfach mal umkippen und auf der Stelle einschlafen. Oder?

  5. Schön in treffende Worte gefasst, was ich derzeit zum 4. Mal erlebe. Die gute Nachricht dazu aus der eigenen Erfahrung in den passenden Worten meiner Hebamme, die mich bei all meinen Schwangerschaften begleitete, obwohl sie in einem ganz anderen Zusammenhang fielen: „Wie gut, dass sich der Nebel des Vergessens über so manches legt … “ Die ernüchternde Erfahrung nach einem Lebensabschnitt mit Kindern (jetzt fast 10, fast 8, gerade 5 Jahre und fast 5 Monate): „Es ist immer nur eine Phase …, doch der einen Phase folgt die nächste …“ Und es ist nicht immer das Tal, das dem Gipfel folgt und umgekehrt. Dennoch: Das Leben mit 4 Kindern bedeutet LEBEN. Und mir ist das LEBEN lieber als jede Alternative! 🙂 Wichtig ist mir: Das Ganze bei aller Liebe nicht allzu verklärt darzustellen: Nach 10 Jahren selbstbestimmt und bestimmt von meinen Kids, inklusive schon 65 Monaten Stillzeit, sage ich: „Es ist harte Arbeit, ein Kind auszutragen, zu gebären und zu stillen, zu wickeln, zu beruhigen, anzuziehen, zu waschen und und und … zu erziehen, aufs Leben bestmöglich vorzubereiten, es zu trösten, ihm seine Ängste vor sich selbst, vor anderen und vor dem Leben zu nehmen, es träumen zu lassen, es zu gesundem Essen zu animieren, es zu kämmen, es loszulassen …“

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