Komischer Vogel

Sonniger Sommersonntag. Es ist 14.00 Uhr durch. Ich sitze in einem Café und nippe genüsslich an meinem Milchkaffee. Ein großes Käsefrühstück steht vor mir, die Zeitung liegt ausgebreitet auf dem Tisch, einen Teil davon habe ich aufgeschlagen in der Hand. Menschen schlendern vorbei, lachende Frauen, Männer mit Kinderwagen, ältere Ehepaare, die sich bei den Händen halten. Zufriedenes Vogelgezwitscher. Die Sonne scheint, ein laues Lüftchen weht – es ist weder zu warm noch zu kühl. Sehr angenehm. Genauso fühlt sich auch dieser Tag an. Pure Harmonie.

Harmonisch – um nicht zu sagen langweilig – ist auch die Nachrichtenlage. Sommerloch. Unterhalten fühle ich mich trotzdem, denn ein kleiner Spatz sucht dann und wann meine Nähe. Er reckt mit stakkatoähnlichen Bewegungen das Köpfchen und schaut mich fragend an. Als ich nichts tue, scheint er sich zu langweilen und hüpft auf den Tisch. Dort verweilt er etwa eine Minute, dann schnappt er hastig nach ein paar Brotkrumen, pickt sie alle auf einmal mit dem Schnabel auf. Er guckt mich wieder an – und fliegt weg. Komischer Vogel… Grinsend versuche ich, mich wieder in die Lektüre zu vertiefen.

Ein junges Paar nähert sich einem Tisch neben mir und nimmt Platz. Der Mann ist schätzungsweise 35 Jahre alt, die Frau unwesentlich jünger. Beide sind adrett gekleidet. Sie sitzen schweigend da, glücklich sehen sie nicht aus. Ich beobachte sie eingehend. Die junge Frau bemerkt es und schaut mich mahnend an. Ich fühle mich ertappt und schaue verlegen weg. Vielleicht schweigen sie sich ja nur heute an, hoffentlich nicht generell. Ich rätsele darüber, was wohl zwischen ihnen vorgefallen sein mag.

Er hängt eher im Stuhl als dass er sitzt – die Arme verschränkt – und fingert an seinem Schlüsselbund. Er schaut sie nicht an. Sie sitzt aufrecht, in einer nur scheinbar selbstsicheren Haltung und hat die Stirn in gefährliche Falten gelegt. Ich sehe, dass sie den Tränen nahe ist, weil sein Blick nicht bei ihr ist. Doch zugeben würde sie es ihm gegenüber nie. Stolz steht ihr ins Gesicht geschrieben. Immer wieder wage ich einen zaghaften Blick zum Nachbartisch. Doch was ich sehe, macht mich betroffen. Ich sacke etwas in mich zusammen und tue so, als würde ich weiter lesen. Konzentrieren kann ich mich jetzt nicht.

Ich brauche etwas Leichtes. Mal schauen, was im Fernsehen läuft. Schon wieder eine Liebesschnulze mit George Clooney in der Hauptrolle. Der altbewährte Herzensbrecher. Oh je, nicht auch noch ein schlechtes Fernsehprogramm. In Gedanken ändere ich das Drehbuch und mache aus dem Film einen spannenden Mafiathriller. Aus Clooney forme ich mir Robert de Niro. Aus Fantasie wird auf diese Weise beinahe ein Lachanfall, den ich auch nur unterdrücken kann, ja sogar muss, weil ich mich am Kaffee verschlucke. Ich räuspere mich und wende mich etwas wirklich ernstem zu: dem Wirtschaftsteil. Langweilige Sekunden vergehen.

Das Paar bestellt jetzt ebenfalls Milchkaffee und zweimal Frühstück. Sie hat ein Lachsfrühstück, er das große Wurstfrühstück. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, ich habe ja nur Käse. Ich philosophiere darüber, wie sich das Körnerbrötchen auf meinem Teller jetzt wohl mit Lachs und Meerrettich machen würde… Ich greife leidenschaftslos nach einer Scheibe Käse und seufze laut auf. Ich muss mit meinen Geräuschen haushalten. Langsam falle ich auf. Ich lächele höflich und kaue kniggegerecht.

Die beiden schweigen sich weiter an. Ich ahne, dass gleich etwas passieren wird zwischen den beiden. Ich spüre förmlich die Spannung. Hochgeladen. Mir ist sehr unbehaglich zumute. Die Stimmung schlägt mir aufs Gemüt. Ich möchte aufstehen, hektisch meinen Kram zusammenpacken und auf der Stelle gehen. Lieber nicht. Ich glaube, das würde auffallen. Brav bewahre ich die Ruhe.

Dann geschieht etwas Unerwartetes: Der kleine Spatz nimmt auf dem Tisch zwischen den beiden traurigen Gestalten Platz. Das Tier schaut die Frau an, die Frau schaut den Mann an, der Mann schaut die Frau und dann den Spatzen an. Der Vogel legt das Köpfchen in extreme Schieflage – zum Schreien komisch. Unmöglich, jetzt nicht wenigstens zu lächeln.

Und tatsächlich: Die Gesichtsausdrücke meiner beiden Tischnachbarn werden weicher. Die Frau seufzt, ihre Augen füllen sich mit Tränen der Erleichterung. Er zwinkert ihr zu, lächelt sie an und steht auf, um sie zu umarmen. Lange halten sie sich fest. Der Spatz schnappt nach ein paar Krümeln und fliegt auf und davon.
Ein wirklich komischer Vogel.

2 Gedanken zu „Komischer Vogel“

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