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Ein kurzes Date

„Sehe ich denn wirklich überhaupt gar nicht so aus wie auf dem Foto hier?“ Die Frau ist sichtlich verzweifelt. Sie zittert, gleich wird sie das Weinen beginnen. Ich sehe es deutlich …

Es ist ein ziemlich stürmischer Frühlingssonntagnachmittag, wir vier sind zum Familienspazierengang und Windumdieohrenblasenlassen an die Nordsee gefahren.
Als wir einparken und ich gerade die Jungs aus dem Wagen lasse, um sie anzuziehen, hält in der Lücke neben uns eine Frau in etwa meinem Alter. Sie sieht fröhlich aus, nickt mir freundlich und lächelnd zu, ihre Bewegungen sind äußerst beschwingt. Dann ist sie auch schon verschwunden. Ich denke: Die ist gut drauf, schön. Und muss selbst grinsen.

Als unsere Bengelchen ihre Jacken, Mützen und Schals anhaben, ist die Frau wieder da …

Jetzt steht sie völlig aufgelöst neben mir und hält mir auf ihrem Handy das Bild von sich hin: Das Portrait einer Frau bis zu den Schultern. Ich vergleiche. Doch, ja, es sieht definitiv aus wie die kleine, etwas rundliche Frau mit dem hübschen Gesicht und den langen, blonden Haaren.

Was ist denn passiert, das sie derartig durcheinander brachte?
„Das war das kürzeste Date meines Lebens“, erzählt sie achselzuckend. „Ich war hier mit einem Online-Kontakt verabredet.“ Sie dreht sich weg, zeigt auf einen Mann, der gerade in seinen tiefergelegten BMW steigt. Dunkle Haare, nicht sehr groß (und nicht gerade attraktiv … aber das ist ja nun Geschmackssache).

Die Frau berichtet weiter. „Er hat mich von oben bis unten gemustert und mir dann direkt ins Gesicht gesagt, ich wäre nicht sein Typ und das Foto, das ich ihm über den Chat gesendet hätte, würde jemanden ganz anderes zeigen als mich.“ Jetzt weint sie tatsächlich ein bisschen. „Dabei bin ich über eine Stunde hergefahren, heute ist mein kinderfreier Tag. Den hätte ich auch anders nutzen können …“ Ich verstehe sie.

Ich kann nur zuhören, ihr über den Arm streichen. Und dann sagen: „Betrachten Sie es als natürliche Selektion. Unter uns: Der Typ ist ziemlich hässlich und hat Sie gar nicht verdient.“ Ich zwinkere ihr verschwörerisch zu. Ich bitte sie noch, vorsichtig zu fahren, als sie in ihr Auto steigt. Und dann ist sie auch schon wieder verschwunden, nur eben leider nicht mehr beschwingt.

„Deiner ist auch schön!“ (oder: Brüder unter sich)

Wer Söhne hat, weiß: Es ist einfach immer etwas los. Im Alltag mit den Bengelchen dreht sich so ziemlich alles – oder zumindest sehr vieles – um Dinosaurier und Drachen, Roller und Rennautos, Stöcker und Steine. Meist ist es laut. Sehr laut. Jungs furzen um die Wette. Oder rülpsen. Oder popeln. Oder noch „krasser“ …

Hätte mir gegenüber früher jemand behauptet, das Leben mit „nur“ Jungs sei lauter und wilder als mit „nur“ Mädchen (oder nur einem Sohn in der Familie), hätte ich mir womöglich an den Kopf getippt und gesagt: „Na, das kannst Du doch so nicht sagen, das ist doch viel zu pauschal!“ Hätte mich wohl ein bisschen ereifert. 
Heute mit zwei kleinen Rackern im Haushalt weiß ich: Doch. Genau so kann man das wirklich sagen. Jungs sind miteinander vor allem: laut, schnell und wild. Ja, Mädchen können das natürlich auch sein, immerhin war ich selbst einmal eines, das auf Bäume kletterte und mit dem Fahrrad durch die Gegend düste. Und dazu noch eine ältere und eine jüngere Schwester hatte. 
Dennoch ist es anders mit Jungs. Vielleicht beschreibe ich einfach mal ein paar so typische „Jungssituationen“, die beleuchten, was genau ich damit meine. 

„Und dann siehst Du, wie der Ninja wegrennt und drauf springt und einfach losfliegt!“ P. steckt eine Lego-Ninjago-Figur auf seinen selbstgebauten Drachen, steht mit dem Konstrukt auf und lässt es herumrennend durch die Luft sausen. Dabei macht er laute Pfeif- und Zischgeräusche, ich sehe förmlich die Spucke durch die Luft fliegen. „Eeeey, das gildet nicht! Der Drache hat doch ein krankes Bein!“, empört sich da brüllend mein viereinhalbjähriger Sohn K. „Macht nichts, er kann aus dem Stand abheben, ääätsch!“, triumphiert da der Siebeneinhalbjährige. Der Jüngere regt sich jetzt mächtig auf. „Nein! Das darf der nicht! Der Ninja darf außerdem gar nicht fliehen, der ist verhaftet und sitzt noch im Gefängnis!“ K. zieht energisch P.s Holzschwert, das fast so groß ist wie er selbst. Hier mische ich mich dann doch ein und bitte ihn, vorsichtig damit umzugehen. Jetzt ruft er „doofe Mama!“ und ist kurz davor, loszuweinen. Oh oh … „K., guck mal“, rettet P. schnell und wirklich gekonnt die Situation. „Der Drache kracht gegen einen Baum. Bamm!“ Stille. „Der Ninja steigt ab und fällt fast um, und Du kannst ihn wieder festnehmen.“ Jetzt lächelt K. Und wischt sich die Rotze mit dem Pulloverärmel ab. „Der hat jetzt ’ne Beule!“ Jetzt kichern beide und vertiefen sich wieder in ihr Lego-Abenteuer.

Eine Weile später unterhalten sie sich angeregt über den Kindergarten und die Schule. Die Themen: Freunde, Spiel und Spaß. Ich schnappe auf: „Der R. ist zwar noch schneller als ich, aber dem zeige ich es noch. Der hat ja viel längere Beine!“ Und ich höre K.: „Im Kindergarten haben wir mal eine Stöckerhöhle gebaut, und der doofe N. hat sie kaputt gemacht.“ Es sind Dinge, die sie gerade beschäftigen, Momente, die sie miteinander teilen. Schön, wie sie sich austauschen … So friedlich. 
Es ist auf einmal ruhig geworden. Verdächtig still. Ich habe das an meinem Schreibtisch sitzend gar nicht so richtig mitbekommen … 

Wo. Sind. Die. Jungs? Ich ahne Abenteuerliches. Und mache mich auf die Suche – höre Stimmen aus dem Gästebad. Ich lausche an der Tür. Ausnahmsweise. Klar. Sowas macht man ja eigentlich nicht. Was ich da höre, bringt mich jetzt aber derart zum Lachen, dass ich schnell in die Küche rennen und mir die Hand auf den Mund pressen muss, damit sie mich nicht erwischen. 
Was sagte da eben der Größere noch gleich zum Kleineren? „K., Dein Pullermatz ist echt hübsch.“ K. antwortete stolz: „Ja, stimmt. Deiner aber auch!“ Gekicher. Etwas später klopfe ich an die Tür, da lassen sie im Waschbecken aus halbierten Weinkorken und Zahnstochern gebastelte Zwei- und Dreimaster segeln.

Zwanzig Uhr: Der Papa kümmert sich um P., ich mache K. bettfertig. Die beiden teilen sich ein großes Zimmer mit Dachschrägen unter dem Reet. Nach dem Zähneputzen liest jedes Elternteil jeweils einem Kind eine altersgerechte Gute-Nacht-Geschichte vor. 
Auf einmal springt K. auf: „Ich habe P. noch keinen Kuss gegeben!“ Das war irgendwie nie richtig Thema bei den beiden. Von Beginn an verlangten wir Eltern auch nicht, dass sich der „Große“ um den „Kleinen“ kümmert oder dass sie sich abends zu umarmen oder gar zu küssen hätten. 
K. steht auf, rennt zum Autobett von P. Ein Schmatzer auf den Mund. Dann: „Gute Nacht, P.“ Auf dem Weg zurück zu mir und in sein Bett, ertönt es aus P.s Ecke: „K.?“ Der hält inne, blickt zurück. „Hm?“ P. grinst. „Du bist mein bester Freund.“

„Papas sind auch noch da“

Wie kümmern sich Väter heutzutage eigentlich um ihren Nachwuchs? Immer weniger Eltern sind inzwischen dem alten Rollenmodell „verhaftet“ – so viel ist schon mal klar. Aber inwieweit bringen sich Papas heute in den Alltag mit ihren Familien ein? Können beziehungsweise wollen sie das denn überhaupt?

Vor einiger Zeit erhielt ich eine Zuschrift von Papa Jörg aus Hannover, der sich beklagte: „Sogar auf Elternportalen geht es meist nur um die Mütter, die mit ihren Kids zu Hause bleiben, sich um alles kümmern. Wir Papas sind auch noch da. Wir können und wollen mehr tun.“

Enttäuschte Väter? Brauchen wir nicht. Deshalb startete ich kurzerhand eine Umfrage in einem bekannten sozialen Medium und lasse an dieser Stelle mal ein paar tolle Papas zu Wort kommen. 

„Ich verstehe nicht, warum einige Väter die Kindererziehung grundsätzlich für sich ablehnen und – so die Kehrseite – es gesellschaftlich auch weniger anerkannt ist, wenn die Mama arbeiten geht und der Papa mit dem Kind daheim bleibt“, schreibt Jörg, Vater eines neunzehnjährigen Sohnes. 

„Mein Vater war zwar beruflich stark eingespannt, aber er gab mir und meinem älteren Bruder viele gute Werte mit auf den Weg und kümmerte sich intensiv um uns, wenn er Zeit hatte. Werte vermitteln wollte ich ebenfalls, aber auch mehr Zeit mit unserem Jungen verbringen.“ 

Jörg tippt weiter, man spürt seine Erregung selbst aus der Ferne: Er hat viel zu dem Thema zu sagen. „Meine Frau war beruflich sehr viel unterwegs, auch, als unsere Motte noch ein Säugling war. Die Mutter machte also Karriere, ich blieb beim Kind, übernahm den Großteil der Pflege und Fürsorge.“ 

Der fast Sechsundfünzigjährige ist davon überzeugt, dass viel mehr Jungväter wesentlich mehr Aufgaben übernehmen und sich auch emotional mehr einbringen könnten. „Für mich war das damals selbstverständlich.“

Jörg macht eine längere Schreibpause, dann erscheinen folgende Zeilen auf meinem Display: „Ich dachte auch daran, dass ich es am Ende meines Lebens bereuen würde, mich zu wenig hingegeben zu haben. Mein Sohn hätte mich vielleicht kaum gekannt. Ich bin heute froh darüber, wie es gelaufen ist.“ 

Der fünfunddreißigjährige Tobias aus München sieht die Sache mit der „Rollenverteilung“ etwas anders als Jörg, stimmt aber in den Grundfesten mit dem hannoverschen Papa überein: „Ich glaube schon, dass vor allem in den ersten Jahren das Kind vor allem zur Mama gehört“, meldet er sich zu Wort.

„Es liegt in der Natur des Menschen, dass die Mütter die Babys stillen beziehungsweise füttern, sie herumtragen, sie zum Schlafen bringen, sie liebkosen und so weiter. Das heißt aber nicht, dass ich mich da rausziehe und überhaupt nichts mache. Im Gegenteil: Ich bringe mich ein, so oft und so viel und so intensiv ich nur kann, spiele und kuschele mit unserem Zweijährigen, fahre ihn im Buggy herum – zu mir gewandt, damit ich sehen kann, was er sieht.“

Das Folgende sieht er ganz genau wie Jörg: „Ich mache all das natürlich, weil ich den Zwerg so liebe – und es aber wohl auch tief bedauern würde, zu wenig in seinem Leben präsent gewesen zu sein.“ 

Väter wollen folglich anwesender sein, mehr von ihren Kindern haben, sie wirklich aufwachsen sehen? „Ja, das war und ist auch mein Ziel“, bestätigt Michael, zweifacher Papa Ende Dreißig. „Und mittlerweile bin ich auch so weit, dass ich das erreicht habe. Dennoch frage ich mich immer wieder, ob das ausreicht, ob ich noch mehr leisten kann.“
Tobias bestätigt das Gefühl, sich als Papa „irgendwie unzulänglich und fehlerhaft“ zu fühlen. „Aber genau das sind wir ja, dürfen es doch auch sein. Oder?“ 

Familie und Job unter einen Hut zu bekommen, finden auch Väter schwierig, vor allem dann, wenn sie noch ein guter Ehemann sein wollen. „Eigentlich führen wir Eltern meist nur noch Smalltalk oder die Themen drehen sich um die Kinder“, klagt Michael. „Und ich stelle mir dann die Frage: Habe ich es vielleicht schon verlernt, Beziehung zu leben oder lerne ich es gerade?“ 

Mit tiefgehenden Fragen wie diesen setzen sich aber nicht nur Tobias und Michael auseinander. „Ich bin mir ganz sicher, dass es vielen, den meisten Paaren so geht, wenn es erst einmal Kinder in ihrem Leben gibt. Sie entfernen sich erst einmal voneinander“, meint Tom aus Leipzig.

„Die Partnerschaft kommt doch definitiv eine Weile zu kurz – und viele scheitern bestimmt auch. Aber ich glaube ganz fest daran, dass meine Freundin und ich wieder enger zusammenrücken werden, wenn unsere Babytochter etwas größer ist.“

Der Endzwanziger schickt separat noch ein Ausrufezeichen hinterher … Bei Jörg hat das mit dem Zusammenrücken nicht geklappt, er lebt inzwischen allein. Zu seinem Sohn hat er bis heute ein enges Verhältnis: „Meine Ex-Frau und ich haben uns irgendwo in der Zeit zwischen Fläschchen-Geben und Geschäftsreisen verloren.“

Was ist den Vätern in Sachen Kinderaufziehen besonders wichtig? „Ich versuche, meine Kinder so ernst zu nehmen wie meine Partnerin und die Kleinen so viel zu tragen wie es nur geht“, beschreibt Michael seine Vaterrolle. „Ganz wichtig ist auch die Verständigung vom ersten Tag an. Natürlich gibt es Kommunikation bereits im Mutterleib, aber ich meine jetzt konkret ab der Geburt.“ Was genau meint er?

„Vor allem denke ich da jetzt an die ‚Ausscheidungskommunikation‘: Babys lassen es sich von Anfang an anmerken, wenn sie müssen. Das ist in unserer Genetik fest verankert. Wir haben aber verlernt, genau hinzusehen und zu deuten.“

Das heißt im Klartext: Eigentlich braucht ein Baby keine Windeln … „Genau. Unsere Tochter habe ich immer dann abgehalten, wenn ich merkte, sie muss. Hier herrscht noch viel zu viel Unwissenheit.“ Und weiter: „Bei aller Liebe und allem Sorgen, sollte man sich aber stets fragen, ob das, was man tut, aus Liebe zum Kind geschieht oder ob man es damit erdrückt.“

Jörg, der eigentlich gern mehr als ein Kind gehabt hätte, erinnert sich gern daran, wie er mit seinem kleinen Sohn seinerzeit zum Einkaufen fuhr oder Ausflüge machte. „Das war so schön. Wir haben einfach Zeit miteinander verbracht – ohne Ziel und ohne auf die Uhr zu schauen. Ich erinnere mich noch genau an die Nächte: Er kam in mein Bett gehuscht, bis er eines Tages sagte: ‚Papa, heute Nacht komme ich nicht mehr.‘ Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen, mehr als er, denke ich.“ Auf diese Zeilen folgt ein Zwinker-Smiley, doch schreibt er im Anschluss noch: „Ehrlich gesagt vermisse ich diese Zeit sehr.“

Jan aus Bersenbrück kam aus einem ganz anderen, sehr traurigen Grund dazu, Vollzeit für seine Kinder da sein zu müssen: Er hatte schlichtweg keine andere Wahl. „Meine Frau hatte Krebs und starb Ende 2019. Mir brach der Boden unter den Füßen weg. Aber es geht ja immer weiter. Und so wohnen bei mir jetzt drei Kinder, zwei Jungs aus der ersten Ehe meiner Frau und unsere gemeinsame Tochter. Ich selbst habe auch noch eine weitere Tochter, auch aus der ersten Ehe. Sie lebt bei ihrer Mutter.“ Jan macht eine Schreibpause, ich sehe, wie er tippt, innehält, wieder tippt …

„Ich sehe es so: Viele Menschen, insbesondere tatsächlich Männer, wissen nicht, wie es alleinerziehenden Vätern wirklich geht und welche Sorgen sie haben. Der Alltag und das Leben an sich gestalten sich mit einem Schlag komplett anders als wäre man zu zweit. Alleinerziehende brauchen mehr Unterstützung.“

Und dann gibt es da noch Frank, siebenundfünfzig Jahre alt, aus der Nähe von Stuttgart, ebenfalls Vater vierer Kinder. Er schreibt über sich:

„Ich sehe mich ehrlich gesagt gar nicht in einer besonderen Rolle. Bin wahrscheinlich nicht mehr oder weniger als andere Väter für ihre Minis da. Ich bringe sie auch mal abends ins Bett, erzähle ihnen Geschichten, wir spielen und lösen Rätsel … Also alles ganz normal.“

Ganz „normal“? Wenn das so ist, brauchen wir genau von diesen normalen Papas bitte noch viele weitere.
An dieser Stelle stellt euch – liebe Superpapis – bitte ein großes, rotes Herz vor.
Danke.

Hinweis: Dieser Text ist in ähnlicher Form bei „Hallo:Eltern“ erschienen.

Zehn Momente, in denen ich gern die Zeit angehalten hätte

Dass die Jahre mit Kindern schneller zu vergehen scheinen, ist eine Erfahrung, die wohl alle Eltern machen. Ich wünsche mir manchmal, die Zeit einfach anhalten zu können. Ein paar dieser Augenblicke – es sind natürlich weit mehr als nur zehn – teile ich hier mit euch.

Nach der Geburt

Ich habe keine schlechte Erinnerung an die Geburten meiner Söhne, worüber ich bis heute sehr dankbar bin. Als mir unser erster Sohn nach der Austreibung von seinem Vater auf die Brust gelegt wurde, habe ich geweint (eigentlich habe ich richtiggehend geschluchzt …) – vor Freude, vor Rührung, Ergriffenheit … ein echtes Baby, aus mir heraus, unfassbar oder?

Und ja, ich war auch erleichtert, dass der Geburtsschmerz endlich vorbei war …

So oder so ähnlich war es auch beim zweiten Kind. Ich habe „nur“ zwei Kids, aber es ist immer ein Wunder, wenn ein kleiner Mensch das Licht der Welt erblickt. (Ich habe eine Freundin, die neun Kinder hat und die genau das bestätigen kann …)

Durchschneiden der Nabelschnur

In diese Kategorie fällt auch das Durchschneiden der Nabelschnur unseres zweiten Kindes: Der Papa musste sich nach dem Blasensprung ziemlich schnell um die Betreuung unseres älteren Sohnes kümmern und konnte bei der zweiten Geburt nicht dabei sein: Es ging einfach zu schnell. Nach dem Auspulsierenlassen der Nabelschnur griff ich also dieses Mal selbst zur Schere. Eine unglaubliche Erfahrung, mein wunderschönes Baby selbst von mir zu „trennen“. Und ich gestehe: Ich habe mir damit richtig Zeit gelassen und es richtig intensiv erleben können.
Übrigens: Dass der Papa dieses Mal nicht dabei war, hatte neben all der Aufregung auch etwas Schönes: Wir zwei, Baby K. und ich, konnten uns vollends aufeinander konzentrieren. Die Welt stand still – und mit ihr auch die Zeit.

Wenn das Baby an Deiner Brust einschläft

Dies ist eine Erinnerung, die ich hoffentlich noch lange werde abrufen können (einmal abgesehen davon, dass ich unseren Vierjährigen noch stille): Das Baby hat getrunken, es ist müde, die Augenlider werden schwer, es dockt von der Brust ab, sein Atem geht langsamer. Es ist ein Bild des Friedens und der Ruhe. Ein kleiner Tropfen Muttermilch läuft seinen Mundwinkel herunter. Das Kind schläft friedlich an der Brust – es ist selig, und Du bist es auch.

Die ersten Schritte

Wenn Baby beginnt zu laufen, hältst Du den Atem an. Wird er es schaffen, einen Fuß vor den anderen zu setzen … ? Er schafft es. Du bist stolz, aber er: noch viel mehr! Und dieses Strahlen in seinen Augen! Wieder hat er sich – und jetzt nicht mehr nur symbolisch – einen Schritt von Dir losgelöst …

Wenn sich die kleinen Händchen um mein Gesicht schmiegen

… und mir ein glockenhelles Jungenstimmchen herzhaft zuraunt: „Mama, ich habe Dich sooo lieb.“ Augen, die leuchten. Ein feuchter Schmatzer legt sich auf meine Lippen, große Kinderaugen strahlen mich an. Mein Gott, was für eine Liebeserklärung, die schönste der Welt. Keine Wort mehr.

Ich kann das allein!“

Ich erinnere mich noch genau daran. Eines Morgens, als es einmal besonders schnell gehen musste, durfte ich meinem Sohn die Schuhe nicht mehr anziehen. Da kam er plötzlich, der Satz: „Mama, ich kann das schon allein.“ Und da musste ich sie wirklich anhalten, alle Hektik – und die Zeit.

Wenn die Jungs sich unterhalten

Ich bereite das Abendessen vor. Die Kinder spielen im Wohnzimmer auf dem Teppich mit dem „kleinen Lego“. K. (vier Jahre) ist der blaue Ninja („Jay“, soviel Aufklärung muss sein), P. (sieben Jahre) spielt einen „Fiesewicht“, nämlich: Lord Garmadon („Mama, der ist nicht immer fies, aber meist.“). Irgendwann schweifen ihre Gedanken vom Spiel ab, und sie unterhalten sich plötzlich über den Kindergarten und die Schule. Die Themen: Freunde, Spiel und Spaß. Es sind Dinge, die sie gerade beschäftigen, Momente, die sie miteinander teilen. Und mir geht das Herz auf. Ich bin dankbar und froh für die beiden, dass sie sich so gut verstehen (ja, sie streiten auch) – und einander haben, Freunde sind. Lausche ich solchen Gesprächen, möchte ich alles um mich herum abschalten und ja: die Zeit anhalten.

Im gemeinsamen Spiel

Wenn wir alle „Mensch, ärgere Dich nicht!“ spielen, scheint die Zeit manchmal wirklich stehen zu bleiben. Konzentrierte Blicke, völlig versunken ins Gewürfle und Figurengesetze … „Seeeechs!“ brüllt der Vierjährige, und seine Augen leuchten triumphierend auf. Und dieses freudige Glucksen, das eigentlich nur noch durch das Gegacker beim Durchkitzeln getoppt werden kann.

Vor jedem neuen Geburtstag

… lasse ich das vergangene Jahr an mir vorüberziehen, erinnere mich an unsere gemeinsamen zwölf Monate. Und verabschiede mich von einem Alter, das mein Kind nie wieder haben wird …

Last, but not least: Wenn die Kinder schlafen

… beobachte ich sie natürlich besonders gern. Klar, welchem Papa oder welcher Mama geht das nicht so? Nicht, weil sie dann etwa hübscher anzusehen wären, sondern ganz einfach deshalb, weil sie still halten! Auf diese Weise kann ich die feinen Konturen ihrer Gesichtchen ausgiebig bewundern – und zwar so lange ich es will. Ausgeliefert! Harharhar. Die geschlossenen Augen so friedlich, so entspannt, so engelsgleich. Die Münder halb geöffnet, die pausigen Wangen so rosig. Ab und zu ein Seufzer der Zufriedenheit … Der Himmel auf Erden oder?

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im Online-Magazin Hallo:Eltern.

„Fehler sind kein Angriff auf den Selbstwert“

Ronja Jürgens ist Vierfachmama von zwei Mädchen und zwei Jungen im Alter zwischen sieben und siebzehn Jahren – und kehrte vor zwei Jahren mit Mann und Kindern Deutschland den Rücken. Der Grund: das hiesige Schulsystem. Ich habe mich einmal mit ihr darüber unterhalten.

Ronja, was hat euch dazu veranlasst, Deutschland zu verlassen?

Um das zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen. Meine erste Tochter hat einen seltenen Gendefekt, das sogenannte Kleefstra-Syndrom. Sie ist geistig behindert, ging in Deutschland lange Zeit auf eine Förderschule. Hier stand das Kind im Fokus, es war eine wirklich gute Erfahrung. Dann kam unser Zweitgeborener zur Schule. Nachdem wir alles versucht hatten, was das deutsche Schulsystem zu bieten hatte und es unserem Kind immer schlechter ging, weil er sich einfach nicht gewöhnen konnte, bekamen wir vom Jugendamt Unterstützung und Rückendeckung für das Homeschooling. Zu diesem Zeitpunkt war unser Sohn bereits am Ende der vierten Klasse. Die Bewilligung bezog sich auf die nächsten elf Monate. Die Bedingung: Wir mussten wöchentliche Lernberichte einreichen. Nachdem wir in den Sommerferien den ganzen Stoff der vierten Klasse aufgeholt hatten, begannen wir im August mit dem der fünften Klasse. Ich hatte aber leider von Anfang an den Eindruck, die Schule wollte unseren Heimlernerfolg irgendwie boykottieren.

Wie das?

Naja, es kamen beispielsweise vonseiten der Schule Anrufe zu den unmöglichsten Zeiten, Unterlagen fehlten oder kamen nicht rechtzeitig an. Druck, Druck und nochmals Druck. Es kristallisierte sich dann einfach nach einiger Zeit heraus, dass wir keine friedliche Lösung finden können. Ich sprach mit dem Jugendamt, Anwälten, der Rechtsschutzversicherung und bekam die Rückmeldung, dass uns nur noch der Gang vor Gericht bliebe. Dazu fehlte mir allerdings die Kraft, denn ich hatte bereits sechs Jahre für eine Diagnose der Behinderung meiner Tochter gekämpft – und fünf Jahre für meinen Sohn. Und ich hatte dabei noch zwei kleinere Kinder an der Hand. Ich war am Ende, erschöpft. Und wir beschlossen dann im Herbst 2017, das Land zu verlassen, verkauften unser Haus in Münster – und dafür ein tolles Wohnmobil. Im Frühjahr 2018 ging es los.

Wow. Das ist wirklich mutig. Wie ging es dann weiter?

Erst einmal reisten wir nach Holland, dann über England nach Irland, weiter nach Frankreich, immer an der Atlantikküste entlang, das war wunderschön. Dann sind wir erst einmal zurück nach Deutschland, um zu arbeiten und Dinge zu ordnen. Die Firma meines Mannes ist in Deutschland ansässig, er war dort Programmierer; und ich machte die Buchhaltung. Wir lebten in unserem Wohnmobil und in Ferienhäusern. Nach kurzer Zeit zog es uns wieder nach Südfrankreich, Südspanien und nach Portugal, hier verweilten wir einige Wochen. Mein Mann und meine kleine Tochter begannen, sich nach einem richtigen Zuhause zu sehen, und ich machte also eine Liste mit den Dingen, die wir für unser gemeinsames Leben brauchen. Unverzichtbar war, dass Homeschooling legal sein musste und für unsere große Tochter, dass sie sich mit Deutsch weiterhelfen kann. Eine deutsche Freundin schaute mir eines Tages dabei über die Schulter und machte mich darauf aufmerksam, dass doch zum Beispiel Dänemark all das vereinen würde, was wir wollen. Ich belas mich ausgiebig, und dann sind wir im Januar 2019 von Portugal nach Dänemark.

Und seid bis heute dort.

Ja, fest seit Sommer 2019. Für uns passt es hier prima. Wir leben auf der Halbinsel Als, vier Kilometer vom Meer entfernt. Die Große ist mittlerweile siebzehn und geht in eine Förderschule, sie fühlt sich wohl. Der Zweite wechselt zwischen Homeschooling und Freilernen, er kommt ebenfalls gut damit zurecht. Die beiden Kleinen besuchen eine Freie Schule, es sind pro Lehrer zehn Kinder in der Klasse. Hier in Dänemark sagte man anfangs zu mir: „Frau Jürgens, Sie sind die Expertin für Ihr Kind, es ist für uns wichtig zu erfahren, was Sie denken.“ Das bewegt mich bis heute. Ich kenne es so aus Deutschland leider nicht.

Ronja, von Dir stammt der „Schulfrei-Planer“ … 

Genau; als Konsequenz aus den Lernplänen, die ich ja damals für meinen Sohn schreiben musste, habe ich eben diesen „Räuberkinder Schulfrei-Planer“ entwickelt. Er dient der Dokumentation beim Homeschooling und Freilernen und richtet sich eben an Eltern, deren Kinder außerhalb von Schulen lernen. Ich möchte sie damit ermutigen, ihren Kids den nötigen Raum zu geben, etwas über ihre sogenannten Stärken und Schwächen zu erfahren. Fehler sind immer Lernwege und für mich absolut kein Angriff auf den Selbstwert. Wenn man die Beschäftigungen des Kindes dokumentiert, entdeckt man auch, wie viel Lernen im ganz normalen Alltag steckt – egal, ob ein Kind beim Kochen hilft (Kennenlernen der Aggregatzustände) oder Lego baut (Statik).

Zusammengefasst: Jedes Kind hat seine eigene Art zu lernen, deshalb sollte man immer individuell schauen, welche Methode des Lernens gerade zum eigenen Lebens- und Lernbereich passt.

Liebe Ronja, danke für das Interview!
Gerne. Danke Dir auch.

Weitere Infos über Ronja Familie und ihren „Schulfrei-Planer“ bekommst Du hier: https://www.raeuberkinder.net

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im Online-Magazin Hallo:Eltern.