Ausgerechnet Katzen

Es ist noch nicht sehr spät am Abend, als sie mich anruft. Doch ich habe nicht mit ihr gerechnet. Ich bin auf dem Sprung: Der Sport wartet.

„Hallo?“, frage ich in den Hörer und erhalte ein energisches, aber nicht unfreundliches „Ich bin’s“ zurück.

Sie hat eine dunkle, angenehme Stimme – und doch sagt sie mir gar nichts. Ich schätze, sie ist um die 60 Jahre alt. Ich kenne die Frau nicht, die mich da anruft.

„Hallo Frau Müller, hier ist Frau Thomsen.“

„Äh… Ich bin nicht…“

„Heute Abend gibt’s eine spannende Reportage über Katzen im Fernsehen! Das wollte ich Ihnen nur sagen.“

Huch. Damit habe ich nun nicht gerechnet.

„Danke“, erwidere ich, „aber ich…“, doch sie schneidet mir erneut das Wort ab.

„Da geht es um kleine und erwachsene Katzen und um alle möglichen Rassen und ihre Herkunft. Außerdem zeigen die, wie viele Katzen wild durch die Dörfer und Städte laufen und ganz frauchenlos sind.“

Frauchenlos? Und wer ist „die“?

„Das ist ja schön, aber ich…“

„Frau Müller, Sie wissen ja, ich hatte auch mal einen Kater, der mir zugelaufen ist. Den hab‘ ich damals nur mit Müh‘ und Not wieder aufgepeppt. Der war ja so verwahrlost, der Arme…“

„Aber ich bin doch gar nicht Fr…“

„Na ja, wie dem auch sei… Heute Abend bringen die jedenfalls diese Sendung. Das wollte ich Ihnen unbedingt sagen. Nachher wissen Sie das gar nicht… Und Sie haben Katzen doch so gern.“

Habe ich das? Wir, das heißt, eigentlich sie, reden etwa eine Viertelstunde über Katzen. Wenn es um Hunde ginge, würde ich sie mir vielleicht sogar ansehen, die Reportage.

„Das ist ja auch sehr nett von Ihnen, aber…“

„Wie geht es Ihnen denn eigentlich? Haben Sie noch immer noch diese schrecklichen Magenbeschwerden?“

Noch hatte ich keine, gleich kriege ich welche.

„Äh… Ich…“

„Na, das wird schon wieder besser…“

Da ist sie, eine klitzekleine Lücke in ihrem Redefluss! Ich ergreife die Gunst der Sekunde:

„Also ich will Sie jetzt äußerst ungern unterbrechen und schon gar nicht enttäuschen. Aber ich muss. Ich bin nicht Frau Müller. Sie müssen sich verwählt haben.“

Kurzes Schweigen. Nur ein sanftes, kaum hörbares Rauschen in der Leitung.

„Oh… Oh Gott! Das tut mir jetzt aber leid. Entschuldigung! Da habe ich mich wohl verwählt…“

Das sage ich doch.

„… Aber Sie mögen doch Katzen oder?“

„Ich…“

„Na, dann wissen Sie jetzt, dass heute eine spannende Reportage läuft, und ich…“

„Danke, Frau Thomsen. Ich werde sie mir vielleicht anschauen. Auf Wiederhören!“

Sanft drücke ich sie weg.

Und die Reportage? Habe ich mir nicht angeschaut…

Ein Gedanke zu „Ausgerechnet Katzen“

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